Ross-Kur für die Seele

Wie der deutsche Pferdeflüsterer Dirk Fischer den Menschen die Sprache der Tiere

und entspanntes Reiten lehrt.

 

Von Ingomar Schwelz

 

Mit einem Röntgenblick schaut Dirk Fischer tief in die weit aufgerissenen Augen der aufgeregten Stute. Dann hebt er mit einer schnellen Bewegung die Arme und das erschrockene Pferd nimmt Reißaus. Es galoppiert im Kreis um ihn herum - immer an der Holzwand der Trainingshalle entlang.

 

Nur Minuten später beginnt die Stute nervös zu kauen. „Sie signalisiert”, erklärt der Pferdetrainer, „dass sie nicht mehr weglaufen will, mich als führendes Tier akzeptiert und in die Herde aufgenommen werden will.” Fischer senkt die Arme und dreht sich langsam zur Seite. Zögernd kommt die Stute auf ihn zu und lässt sich bereitwillig die Nüstern streicheln. Dann marschiert Fischer in Schlangenlinien über die Sägespäne der Reithalle und die Stute folgt mit gesenktem Kopf, plötzlich sanft wie ein Lamm.

 

„Das ist kein Zauberkunststück”, sagt der große schlanke Mann ernst, „ich lese einfach die Körpersprache der Tiere.” Mit dem tief in die Stirn gedrückten Stetson, dem blauen Halstuch, der Wildlederjacke und den über die Jeans gestreiften speckig-braunen Überhosen der Rindertreiber scheint er direkt aus Marlboro-Country zu kommen.

 

Doch der Wilde Westen liegt am Rhein - hier im exklusiven Ambiente von Hof Liebeneck in der Nähe von Koblenz bringt der deutsche „Pferdeflüsterer“ den Menschen das Reiten auf eine natürliche und entspannte Art bei. „Doch erst wer die Herdensprache der Tiere beherrscht und das Leben aus der Perspektive der Pferde sehen kann, hat ein Reit-Erlebnis der besonderen Art”, sagt der Cowboy cool und die Haut unter seinem Dreitagebart schlägt tiefe Falten. Der sanfte Weg der Ausbildung von Pferd und Reiter unter einer ganzheitlichen Betrachtungsweise firmiert bei Dirk Fischer unter dem Titel „Natural-Horsemanship-Training“.

 

Ein Markenzeichen unter dem hier am Rande des Naturparks Nassau Magisches zu geschehen scheint. Weil der 44jährige angeblich unreitbare Pferde auf die sanfte Tour wieder auf Trab bringt, pilgern auch verzweifelte Pferdebesitzer mit ihren seelisch und oft auch körperlich kaputten Rössern aus ganz Deutschland auf das ehemalige gräfliche Hofgut. Dort auf den Höhen des mittleren Rheintales lernen die Reiter nur allzu oft überrascht, dass ihre ,Problem-Pferde’ bisweilen nur ihre eigenen Macken zum Ausdruck bringen.

 

Fischers Vision ist klar formuliert - er will die jahrtausende alte Erfahrung der Unterdrückung der Pferde durch die Menschen aus deren Gedächtnis löschen. „Damit kann es zu einer neuen Harmonie zwischen Tier und Mensch kommen.” Er glaubt sogar zu wissen, wann die Rösser an dem Punkt angekommen sind: “Es sind die Augen die zeigen, dass Uraltängste aufgelöst sind und die Energie wieder frei und harmonisch fließt.” Manchmal legt Fischer erst nach wochenlanger gewaltfreier Schulung wieder vorsichtig einen Sattel auf den Rücken einer geschundenen Kreatur: „Ich richte mich hundertprozentig nach dem Rhythmus der Tiere”.

 

Um Pferde wieder zu ihren ureigensten Instinkten zu führen, studierte der drahtige Mann aus dem hessischen Limburg jahrzehntelang das Alphabet ihrer Körpersprache. „Würde diese Sprache 100.000 Worte haben, verstünde ich vielleicht hundert. Das sind 80 Prozent mehr als die meisten Menschen”, sagt er in einem Ton, der erst gar keinen Zweifel aufkommen lässt.

 

Auch die widerspenstigsten Pferde trotten schon nach kurzer Zeit ergeben hinter dem Leittier in Menschengestalt her. Perfekt ahmt Fischer das so genannte Alpha-Tier nach. Manchmal sind seine Gesten und Handzeichen weich wie die eines Tai Chi-Meisters. Dann bewegt er sich ruckartig, um einem nervösen Pferd in der Reithalle den Weg abzuschneiden.

 

Was wie eine Dressurnummer aussieht, ist das Ergebnis absoluter Präsenz und Klarheit. „Dirk ist sich einfach hundertprozentig sicher, in dem was er tut“ – so drückt es Fischers Freundin Claudia aus. Diese Aura des Selbstbewusstseins fehlt freilich den meisten angehenden Reitern noch. Jetzt lernen gestresste Zivilisationsmenschen, die ein Pferd oft nur als austauschbares mechanisches Sportgerät sehen, störrische Vierbeiner zu verstehen. „95 Prozent ihrer Handlungen machen Pferde beispielsweise nur aus reinem Selbstschutz. Es ist für viele Reiter ein Aha-Erlebnis, wenn sie zum ersten Mal bewusst erkennen, warum ihr Pferd sich bisher so ,unartig’ angestellt hat.“

 

Ob Einsteiger, Anfänger oder Fortgeschrittene – sie alle sollen in die Pferde-Psyche eintauchen, bevor sie tatsächlich das Glück auf dem Rücken ihrer unbekannten Lieblinge finden können. Fischer ist in diesem Prozess ein geduldiger Lehrer und kümmert sich individuell um jeden seiner Schützlinge. Mit leiser Stimme gibt er Ratschläge. Kommando-Töne sind verpönt. Erst wenn ein Reiter das Ego und den Ehrgeiz partout nicht ablegen will, wird Fischer fuchsig. Worte wie Dominanz, Beherrschung oder Kontrolle gehören nicht zu seinem Sprachschatz. Es soll um Freude, Begeisterung aber auch um Achtsamkeit gehen. „Meist“, so Horseman Fischer, „zeigt sich bei den Anfängern bereits nach der dritten Kurseinheit das erste entspannte Lächeln.“

 

Zudem ist es auch die fast schon meditative Stimmung auf dem eleganten Hof,  der den Besucher den Stress des Alltag vergessen lassen soll. Auch arbeitswütigste Manager legen in der Oase der Ruhe bald Handy und Laptop beiseite.

In einer gemütlichen Traumvilla aus dem 19.Jahrhundert, die von dichtem Efeu umrankt ist, kann man sich dem Charme eines luxuriösen Landlebens hingeben – rustikales Mobiliar im Gutsherrenstil, flackerndes Kaminfeuer, edle Accessoires. Eine private Atmosphäre, in der auch Nicht-Reiter sich erholen können. Im Reiterstübchen steigen zünftige Country-Abende mit Barbecue, Tanz und Weinprobe.

 

 Nein, wie ein Psycho-Guru wirkt Fischer nicht. Er ist ein erdverbundener Cowboy mit Herz , der seinen Traum nie aus den Augen zu verlieren scheint: Den Bruch zwischen Mensch und Natur zu kitten. Reiter und Pferd sollen harmonisch miteinander kommunizieren. „Gegenseitiger Respekt steht an erster Stelle“, sagt der Lehrer.

 

Als kleiner Junge hatte Dirk Fischer noch Todesangst vor Pferden. Doch eines Tages kaufte sein Vater einen kaputten Wallach, den der 13jährige jahrelang pflegte. „Da bekam ich den Draht zu den Pferden”, erinnert sich Fischer. Noch heute kann er an keinem misshandelten Ross vorbeigehen, ohne ihm zu helfen. „Irgendeiner”, räsoniert Fischer, “ muss die Pferde doch vor den Menschen schützen.”

 

So verwendet er viel Zeit, um bei den Reitwilligen das richtige Gefühl für die Vierbeiner zu entwickeln. Nicht der Kopf steht dabei im Vordergrund, sondern das intuitive Verstehen des Tieres. Es kommt auf das Timing an - darauf, dass der Reiter spürt, wann und wie er etwas tut. Er soll in allen Situationen merken, „was passiert, bevor es passiert“.

 

 Wer ohne Pferd nach Hof Liebeneck kommt, dem stehen insgesamt acht sorgsam von Fischer ausgebildete Schulpferde zur Verfügung. Diese sind so trainiert, dass sie auch den blutigsten Anfänger sicher durch das Gelände bringen. Höhepunkt ist der Ausritt durch das Rheintal mit seiner atemberaubenden Postkartenlandschaft aus Weinbergen gespickt mit Burgen und Schlössern. „Die leuchtenden Augen der Reiter“, erzählt Fischer, „sind für mich dann das schönste Geschenk.“   

 

Für ihn zählt nur die ganzheitliche Arbeit mit Tier und Mensch. In seiner Welt haben Zirkusnummern keinen Platz, sondern nur geduldige Arbeit - und die volle Aufmerksamkeit in jeder Sekunde. Auch da lernt Dirk Fischer nie aus. Als er einmal beim Training einen Moment nicht präsent war, streifte das Hufeisen eines ausschlagenden Pferdes seinen Kopf.

 

“Es gibt nichts Schöneres als zu wissen, welche Aufgabe man im Leben hat”, lächelt Horseman Dirk Fischer ganz entspannt – dreht sich um und schaut mit seinem Röntgenblick bereits wieder tief in die Augen eines aufgeregten Pferdes.

 

Kontakt zum Autor: 030-3956815

 

Information:

Hof Liebeneck, 56340 Osterspai. Tel: 02627-972888, Fax: 02627-972887. Email: info@hof-liebeneck.de,

www.hof-liebeneck.de